Bewertung:  / 0
SchwachSuper 

Verfasser: Markus Leitner, aktualisiert am 19.10.04 um 22:53 Uhr

BRK-Hilfskräfte der Sanitätsbereitschaften und Wasserwachten blicken auf Einsatzverlauf beim Hochwasser in Dresden zurück

Berchtesgadener Land (ml) - Einen Monat liegen die Einsätze der BRK-Helfer aus dem Berchtesgadener Land bei der Hochwasser-Katastrophe in Dresden und Pirna mittlerweile zurück, doch die Geschehnisse regen noch immer zu heißen Diskussionen an und lassen die Rotkreuzler an vielen Details einer vermeintlich nicht mehr zeitgemäßen Katastrophenschutz-Vorhaltung im Sanitätsbereich zweifeln. Niemand konnte sich zuvor ausmalen, dass Naturgewalten wie Unwetter, Blitzschlag und Wasser in diesem Sommer oder terroristische Anschläge wie am 11. September 2001 die Dimensionen des Vorstellbaren um Welten sprengen könnten. Trotz hoher finanzieller Schäden und zahlreicher Todesopfer in ganz Deutschland und Österreich konnte Schlimmeres vielerorts abgewandt werden. Die Tatsache, dass gerade das Hochwasser viele Vorkehrungsmaßnahmen als unzureichend erscheinen ließ und die Einsatzkräfte zum Teil an die Grenzen des Machbaren brachte, regt zum Nachdenken an und macht politische Entscheidungen im Angesicht neuer Bedrohungen notwendig.

Mit einem Monat Abstand blicken die eingesetzten Helfer des BRKs auf den an der Mannschafts- und Fahrzeugzahl bemessenen, größten Einsatz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurück. Auf ein Hilfsgesuch des Landes Sachsen hin ließ das bayerische Innenministerium in den frühen Morgenstunden am 15 August Freiwillige aller Hilfsorganisationen in ganz Bayern alarmieren, die mit Katastrophenschutz- und Rettungsdienst-Fahrzeugen die Evakuierung der vom Hochwasser gefährdeten Krankenhäuser und Altenheime in Dresden übernehmen sollten und mit rund 650 Fahrzeugen und 1840 Helfern anrückten. Bis zum 20. August waren auch Wasserwacht- und Sanitätsbereitschaftsmitglieder aus dem Berchtesgadener Land an den Einsätzen beteiligt. Neben Mitgliedern der Bergwacht erklärten sich weitere Wasserwacht-Helfer spontan nach nächtlichen Anrufen dazu bereit, die aufgebrauchten Kollegen der Sanitätsbereitschaften im Katastrophengebiet abzulösen und untermauerten damit das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Hilfskräfte im Dienst einer Sache.
Schon während des Einsatzablaufs wurden für viele bayerische Helfer Schwachstellen und natürliche Anlaufschwierigkeiten im Gesamtmanagement einer solchen Katastrophe erkennbar, was unvermeidbar Kritik und Unmut seitens der Einsatzkräfte zur Folge hatte. Für den einzelnen Sanitäter ohne Informationen über die Lage erschienen viele Entscheidungen der Führungskräfte vor Ort zweifelhaft, und aufgrund sinkender Einsatzzahlen wurde das Gefühl aufgebauscht, dass die bayerischen Helfer in Sachsen überflüssig seien. Die Bevölkerung Dresdens brachte mit ihrer liebevollen Verpflegung der Helfer und unzähligen Dankworten Gegenteiliges zum Ausdruck und untermauerte die Aussage des bayerischen Gesamteinsatzleiters, dass allein die Präsenz der vielen Helfer eine beruhigende Wirkung auf die durch steigende Pegel verunsicherten Anwohner hätte.
Unkameradschaftlich erschien die Tatsache, dass einige Gruppen aus eigener Initiative trotz Katastrophenfall und ohne Abmeldung den Einsatzort verließen und die Heimreise antraten, während die Kollegen wie die Helfer aus dem Berchtesgadener Land mit Evakuierungsaufgaben beschäftigt waren. Zudem sollte der Einsatz voraussichtlich weitere zwei Wochen dauern, da die bayerischen Hilfskräfte die Aufräumarbeiten in Dresden abzusichern hätten und den regulären Rettungsdienst der Stadt entlasten müssten. Nur Dank der Einsatzbereitschaft einiger Wasserwacht-Helfer und weiterer Mitglieder der Sanitätsbereitschaften aus dem Landkreis konnten die aufgezehrten Helfer nach drei anstrengenden Tagen abgelöst werden. Die Ablösemannschaft wurde weitere zwei Tage benötigt, bis der Katastrophenfall aufgehoben wurde, war aber nur noch aus Sicherheitsgründen vor Ort. Zu groß war die Bedrohung durch einsturzgefährdete Gebäude oder brüchige Deiche bei den beginnenden Aufräumarbeiten. Trotzdem kritisierten die Helfer der zweiten Mannschaft kaum mit Aufgaben betraut worden zu sein und tatenlos auf ihren Einsatz gewartet haben zu müssen. Kriseninterventionsteams aus Bayern versuchten gegen die psychischen Unruhezustände der Helfer anzugehen und unterstützten bei der Verarbeitung der Eindrücke.
Wegen des Feiertags Maria Himmelfahrt waren die meisten Ehrenamtlichen zeitlich nicht durch ihren Arbeitsplatz gebunden, was die Einsatzleitung vor Ort in Sachsen mit einer unerwartet hohen Zahl an Helfern aus Bayern konfrontierte und in den ersten Stunden zu einem Organisationschaos führte. Insgesamt trafen weitaus mehr Kräfte in Sachsen ein, als man durch die flächendeckende Alarmierung erreichen wollte.
Sicherlich strahlt die Tatsache eine beruhigende Wirkung auf die Gesamtbevölkerung aus, dass innerhalb von wenigen Stunden im Fall einer Katastrophe überregional eine derart große Zahl an Einsatzkräften zusammengezogen werden kann, um schnelle Hilfe auch in großen Dimensionen leisten zu können. Verschwiegen bleibt aber, wie viele Ehrenamtliche kritisieren, dass die Fahrzeuge und Ausrüstungsgegenstände der hoch motivierten Freiwilligen noch immer zu großen Teilen total veraltet und zur Versorgung und Behandlung von Patienten nicht mehr zeitgemäß sind. Zwar wurde seitens des Bundes schon mit der Erneuerung des Bestandes an Vier-Tragen-Wagen begonnen, trotzdem müssen viele ehrenamtliche Sanitäter immer noch mit bis zu 30 Jahre alten Autos darauf hoffen, dass ihr Fahrzeug den Weg bis zum Einsatzort bewältigt und zudem die notwendigen Bedingungen zum sicheren Patiententransport bietet. In Dresden und Pirna waren die bayerischen Sanitäter zwar zahlenmäßig stark vertreten. Was sie aber mit ihrer Ausrüstung bewältigen hätten können, wenn sie wirklich alle benötigt worden wären, ist laut eigener Einschätzung fraglich. Einige Sanitäter meinten, dass Schlauchboote bei den überfluteten Straßen mehr gebracht hätten als die nur schwer zu be- und entladenen Vier-Tragen-Wagen. Bei der Evakuierung eines Altenheimes entschloss sich ein Einsatzleiter kurzerhand, dass der Transport von liegenden Patienten in den angerückten 25 Jahre alten engen Vier-Tragen-Wagen nicht zumutbar sei, zumal vier Patienten gleichzeitig in einem wackeligen Fahrzeug auf kleinstem Raum untergebracht werden müssten und eine Betreuung dadurch unmöglich werden würde. So übernahmen moderne Rettungs- und Krankenwagen zu großen Teilen die Transportaufgaben, wobei es sich um Fahrzeuge handelt, die von den BRK-Kreisverbänden und den Sanitätsbereitschaften aus eigenen Mitteln gekauft wurden, um den täglichen Anforderungen des erweiterten Rettungsdienstes gerecht werden zu können. Auch aus dem Berchtesgadener Land waren neben den beiden 12
Jahre alten Vier-Tragen-Wagen des Bundes sieben moderne Fahrzeuge angerückt, deren Finanzierung ausschließlich aufgrund der Spendenbereitschaft der heimischen Bevölkerung möglich war. Für die Freiwilligen ist es ein ständiger Kampf um finanzielle Mittel, wenn sie versuchen, mit nur geringer staatlicher Unterstützung ihre Ausrüstung auf dem Stand der Zeit zu halten.
Als entscheidender Nachteil fiel den Helfern auch auf, dass gut funktionierende Verbände wie die Schnelleinsatzgruppe aus dem Berchtesgadener Land beim Eintreffen in Dresden auseinander gerissen und nach Fahrzeugart sortiert wurden. Wie sich herausstellte handelte es sich dabei um ein Improvisationsmanöver der Einsatzleitung, die sich mit der Masse an Einsatzkräften zunächst überfordert sah und deshalb auch keine Registrierung durchführte. So gelang es auch anfangs nicht sich eine Erkenntnis über die Gesamtstärke zu verschaffen, noch wären abgängige Helfer gleich aufgefallen. Ebenso schwierig war es gut funktionierende Funknetze im Einsatzgebiet aufzubauen, wodurch die Kommunikation untereinander immer wieder eingeschränkt wurde.
Fälle wie dieser zeigen, dass für derartige Szenarien keine Pläne existieren und erst nach einer gewissen Anlaufzeit die Lage zu beherrschen ist.
Zusätzlich mussten die beiden Einsatzleiter aus dem Berchtesgadener Land, Ludwig Wetzelsberger und Andreas Rautter andere Aufgaben in der Gesamteinsatzleitung übernehmen und standen somit nur noch bedingt als Ansprechpartner für ihre Mannschaft zur Verfügung, was den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe auf die Probe stellte.
Nur teilweise kamen die BRK-Helfer aus organisatorischen Gründen in den ersten Stunden wirklich zum Einsatz, wobei die große Masse an Fahrzeugen stillstand, und ein fehlendes Bild über die Gesamtlage die Sanitäter in zunehmenden Unmut über den Sinn der Aktion versetzte. So gut wie nicht vorhandenen war laut Aussagen von Beteiligten zunächst auch die Kommunikation der bayerischen Einsatzleitung mit der Örtlichen Einsatzleitung des Katastrophenschutzes der Stadt Dresden, die fast keine Aufgaben weiterleitete und somit auch den Bayern die Motivation nahm. Erst als die Verantwortlichen in der ersten Nacht die Selbstorganisation der bayerischen Kräfte mit kleineren Gruppen und Abschnittsleitern dirigierten, konnten Evakuierungsaufgaben effizient und mit Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten durchgeführt werden. Sowohl die Gefahr des Verdrusses der Einsatzkräfte aufgrund zu langer Standzeiten in der Masse von Fahrzeugen ohne ein Bild über die Gesamtlage, als auch die nervliche Belastung durch noch nicht eingeteilte Ruhe- und Wachzeiten zeichneten sich als die Probleme der ersten Stunden ab, die aber bald unter Kontrolle gebracht wurden.
Nur zäh lief zu Beginn der Aufbau einer Infrastruktur auf den Bereitstellungsplätzen mit Feldküchen, Duschen und Schlafmöglichkeiten für die unerwartet vielen Einsatzkräfte an, was sich zusätzlich negativ auf die Gesamtstimmung auswirkte. Große Teile der Helfer waren durch schlaflose Nächte in den Fahrzeugen und fehlende Wechselwäsche oder nicht vorhandene sanitäre Einrichtungen schnell aufgebraucht. Umso schöner waren die Erlebnisse mit der Zivilbevölkerung, die die Lage erkannt hatte und begann die Helfer mit allem Notwendigen auszustatten und dabei ihren Dank zu Ausdruck brachte.
Mit einiger Verzögerung kam der Einsatz aber schließlich in Schwung und die Bayern konnten einiges bewegen. Von einander getrennt führten die Helfer aus dem Landkreis von drei verschiedenen Bereitstellungsplätzen aus Evakuierungsmanöver durch, leisteten Hilfe auf der Intensivstation des Notkrankenhauses im Flughafenterminal, fuhren Notarzteinsätze oder beteiligten sich beim Aufbau einer Bundeswehr-Zeltstadt für die Bevölkerung aus Pirna, wobei ihnen vielfältige Eindrücke zuteil wurden. Keiner von ihnen bereut trotz mancher Unannehmlichkeiten am Einsatz teilgenommen zu haben, denn die Impressionen und Erfahrungen sind für alle unvergesslich.
Die spontane Unterstützung durch die Wasserwacht mit ihrem Einsatzleiter Peter Graf schweißt die Rotkreuz-Gemeinschaften enger zusammen und verbindet für zukünftige Aufgaben in der Heimat, die gemeinsam bewältigt werden müssen.
Als Entlohnung für ihren unentgeltlichen Einsatz auch beim Katastrophenfall beim Hochwasser im Landkreis wurden die Rotkreuzler vom Landratsamt auf ein Fußballspiel im Olympiastadium eingeladen.
Ihre Hauptaufgabe sehen die Teilnehmer des Einsatzes in erste Linie nun darin, die gewonnene Erfahrung konstruktiv in neuen Vorsorgestrategien innerhalb des Berchtesgadener Landes umzusetzen, um den steigenden Zahlen an Katastrophen gewappnet zu sein. Ein Schlüssel liegt in der Motivation junger Menschen für den ehrenamtlichen und interessanten Einsatz am Nächsten, denn die Geschehnisse haben bewiesen, dass das Ehrenamt im Rettungsdienst nicht wegzudenken ist. Ein gemeinsames Ausbildungswochenende und eine geplante Großübung für nächstes Jahr verbindet das BRK im Landkreis auch immer mehr mit dem Österreichischen Roten Kreuz in Salzburg, das einer gemeinsamen Bewältigung von möglichen zukünftigen Katastrophen offen gegenübersteht.