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Verfasser: Markus Leitner, aktualisiert am 18.1.06 um 16:39 Uhr

Bergwacht-Lawinenhundestaffel übt unter Einsatzbedingungen auf der Reiter Alpe

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SCHNEIZLREUTH (ml) – Nach wie vor ist der Einsatz von Suchhunden die effektivste Methode, Lawinenopfer oder andere Verschüttete schnell aufzuspüren. Auch nach dem Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall leisteten die Bergwacht-Lawinenhunde über Tage hinweg Schwerstarbeit zwischen den Trümmern und Schneemassen. Punktgenau zeigten sie den Rettern die Stellen an, wo noch Verschüttete unter den Hallenteilen eingeschlossen waren. Bis die Tiere kompromisslos im schwierigen Gelände am Berg oder in Trümmerfeldern eingesetzt werden können, vergeht ein langer und zeitintensiver Ausbildungs- und Trainingsweg, der den Hunden und ihren Führern viel abverlangt. Eine Woche lang trainierte die Bergwacht-Lawinenhundestaffel Chiemgau auf dem Hochplateau der Reiter Alpe bei Schneizlreuth unter Einsatzbedingungen die Suche nach Lawinenverschütteten. Am mittlerweile elften Kurs nahmen 15 Hundeführer von Bergwacht und Polizei teil, wobei auch zwei Junghunde in allen Disziplinen ausgebildet wurden, um in Zukunft dem hohen Leistungsstand der Staffel zu entsprechen, die seit fast 50 Jahren besteht.

Am Freitagmorgen werden mit der Seilbahn der Bundeswehr die Hundeführer, ihre Tiere und die gesamte Ausrüstung auf das Hochplateau der Reiter Alpe transportiert. Zusätzlich kümmert sich die Bundeswehr um den Transport des Equipments am Berg, stellt einen Koch und die Hütte zur Verfügung, wo die Kursteilnehmer eine Woche lang untergebracht sind und in den Abendstunden Übungen und Einsätze nachbesprechen.

Gut riechen können die Hunde von Geburt an. Was sie aber suchen sollen, müssen sie Schritt für Schritt lernen. Bei der rund dreijährigen Ausbildung zum Suchhund wird der Spieltrieb der Tiere genutzt. Zunächst muss der Vierbeiner seinen Führer in einem Schneeloch suchen, später auch andere Menschen. Bis zu vier Meter tief werden einzelne Bergwacht-Helfer auf der Reiter Alpe in Schneehöhlen vergraben. Bevor im Anschluss die Hunde zum Einsatz kommen, fährt eine Pistenraupe über das Übungsgebiet, wodurch alle Geruchsstoffe an der Oberfläche neutralisiert werden. Auch wenn im Ernstfall bei der Hubschrauberlandung der Oberflächenschnee weggewirbelt wird, kann sich der Hund nur noch am Geruch des Verschütteten orientieren. Körpereigene Substanzen wie die im Schweiß enthaltene Milchsäure und Adrenalin sind es, die den Tieren die genaue Lage des Lawinenopfers verraten.

Hunde haben etwa 250 Millionen Riechzellen, 50 Mal mehr als der Mensch. Probleme mit der Witterung gibt es nur bei starkem Wind oder extremer Sonneneinstrahlung. Ansonsten arbeiten sie sehr schnell und effektiv, lassen Techniken wie Metall- oder Lawinen-Verschütteten-Suchgeräte (LVS) hinter sich. Da ein Mensch aber in der Regel nach rund 15 Minuten in einer Lawine erstickt, wenn er keine Atemhöhle hat, kommen die Retter nicht immer rechtzeitig. Oft kann wegen schlechtem Wetter kein Hubschrauber fliegen, und die Bergwacht-Helfer müssen zu Fuß zum Einsatzort aufsteigen. Im gesamten Alpenraum sterben jährlich rund 120 Menschen nach Lawinenverschüttung. Die Tendenz ist aufgrund immer größerer Risikobereitschaft steigend.

Rasch werden die vergrabenen Übungsmimen auf der Reiter Alpe aufgefunden und die Tiere für ihren Erfolg belohnt. Während der Ausbildung zum Suchhund müssen die jungen Tiere lernen, sich nicht von anderen Reizen ablenken zu lassen und auch gleichzeitig mit anderen Hunden auf einem Lawinenfeld zu suchen. Ein guter Lawinenhund gehorcht nach seiner Ausbildung aufs Wort. Um den Vierbeinern ihre Angst vor dem Hubschrauber zu nehmen, finden mehrere Gewöhnungsflüge in der nahen Umgebung statt. Zuvor wird das Einsteigen in die Maschine bei laufendem Rotor geübt. Der rund sieben Tonnen schwere Transporthubschrauber der Bundespolizei vom Typ „SA330J Puma“ nimmt die Hundeführer mit ihren Tieren per Winde auf, wobei auch die Hunde mit einem speziellen Tragegeschirr gesichert sind. Den am Boden wartenden Bergwacht-Helfern und Hunden fegt der Abwind den Schnee um die Ohren.

Im Alter von drei Monaten werden die Welpen der Mutter entwöhnt. Von jetzt an beginnt der Hundeführer mit viel Zeitaufwand ein inniges Verhältnis zu seinem Tier aufzubauen. Schnell stellt sich heraus, ob der Vierbeiner der weiteren Ausbildung zum Lawinenhund gewachsen ist. Großes Vertrauen zwischen Mensch und Hund sind die Grundvoraussetzung für die weitere Arbeit, denn unter lebensgefährlichen Bedingungen im Einsatzfall dürfen keine Fehler mehr passieren. Jeder Hundeführer im Bereich der Bergwacht-Region Chiemgau hat sein komplettes Equipment zu Hause und wird im Notfall über Funkmeldeempfänger von der Rettungsleistelle Traunstein verständigt. In Berchtesgaden, Bad Reichenhall, Bergen, Markquartstein, Ramsau, Ruhpolding und Schleching sind derzeit insgesamt acht Lawinenhunde zu Hause. Wird in den Berchtesgadener oder Chiemgauer Bergen jemand verschüttet, so fahren mehrere Bergwacht-Männer gleichzeitig mit ihren Hunden zum jeweiligen Einsatzort oder werden an einem Treffpunkt vom Rettungshubschrauber aufgenommen. Jeder von ihnen hat Kartenmaterial des gesamten Zuständigkeitsbereichs, die komplette persönliche Schutzausrüstung, ein Hubschrauber-Tragegeschirr für den Hund sowie ein Handfunkgerät mit dabei. Wenn aufgrund schlechter Sicht kein Hubschrauber mehr fliegen kann, müssen der Bergwacht-Helfer und sein Hund auch alleine im schwierigen Gelände durchschlagen.

Neben dem täglichen individuellen Training mit dem Vierbeiner findet jährlich im Januar ein einwöchiger Kurs für die Lawinenhunde statt. Zusätzlich wird jeden Sommer die Flächensuche nach Vermissten im Gebirge trainiert. Zum Jahresende müssen sich die Teams dann bei einer Einsatzübung bewähren und ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Mit monatlichen kleineren Übungen wird die ständige Leistungsfähigkeit der Tiere sichergestellt und überprüft. Nach den Einsätzen auf der Hochalm, auf dem Schrecksattel und beim Eislaufhallen-Einsturz hat die Lawinenhundestaffel wieder mehr an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen. In Anbetracht des hohen Aufwands, der mit der Ausbildung und ständigen Vorhaltung einer Suchhundestaffel verbunden ist, bedarf es ständiger Motivation, um auch mehrmonatige einsatzfreie Zeiten zu überbrücken. „Wenn es zum Einsatz kommt, dann sind die Hundeführer und ihre Tiere voll gefordert. Man muss immer perfekt vorbereitet sein, um das eigene Unfallrisiko so gering wie möglich zu halten. Beim Einsatz am Schrecksattel haben wir uns durchs Gelände gekämpft.“, sagt der Ruhpoldinger Bergwacht-Mann Walter Lang, der zugleich Leiter der Lawinenhundestaffel ist. Schlechtes Wetter, schwieriges Gelände und hohe Lawinengefahr gefährden die Helfer am Berg bei ihren Rettungseinsätzen.

Doch die Bergwacht-Lawinenhunde können noch mehr: Im Übungsgelände der Feuerwehrschule Geretsried sowie auf anderen geeigneten Flächen wird auch regelmäßig die Trümmersuche geübt, wobei der Hund in enge Löcher kriechen und die besonderen Gefahren durch spitze oder scharfkantige Teile kennen lernen muss. Die Lawinenhunde haben auch alle die Rettungshundeprüfung abgelegt. „Beim Einsatz in der Eislaufhalle hat Speedy sofort meine eigene Angst bemerkt und sich dementsprechend vorsichtig über das Trümmerfeld bewegt - ganz anders als auf einer Schneelawine, wo er sich zwanglos bewegen kann.“, berichtet Walter Lang. Besonders wichtig ist es den Helfern, dass keiner der Hunde aufgrund seiner Leistung aus der Gruppe hervorgehoben wird. Einzelkämpfer gibt es bei der Bergwacht-Lawinenhundestaffel nicht, nur das Team ist stark. Die Nachbesprechungen bieten den Helfern Platz für Diskussion und Kritik, während der Einsätze zählt nur das Miteinander.