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Verfasser: Markus Leitner, aktualisiert am 10.10.06 um 00:02 Uhr

Erfahrungsaustausch beim ersten Alpinrecht-Symposium

BAD REICHENHALL (ml) – Unter der Schirmherrschaft der bayerischen Justizministerin Dr. Beate Merk fand bei der Gebirgsjägerbrigade 23 am Dienstag und Mittwoch erstmalig ein Symposium Alpinrecht statt. Vertreter von Justiz, Bundeswehr, Bergwacht und Polizei trafen sich, um Erfahrungen und Wissen auszutauschen, wobei vor allem die gute Zusammenarbeit bei alpinen Unglücksfällen weiter ausgebaut werden sollte. Welche Sorgfaltspflichten haben Einsatzleiter und Ausbilder gegenüber ihrer Mannschaft und wie weit ist jeder Helfer für sich selbst verantwortlich?“ – mit einem Impulsreferat zeigte Richter und Bergwacht-Mann Dr. Klaus Burger, wie schwierig eine Entscheidung im Einzelfall sein kann, besonders wenn es um Menschenleben geht.

„Menschen zu helfen, die im alpinen Gelände in Not geraten sind, ist eine enorme Herausforderung. Die ehrenamtliche Arbeit der rund 4.400 bayerischen Bergwacht-Helfer macht das Gebirge zu einem Raum, in dem Gemeinsinn und soziales Engagement gelebt wird. Es wird sehr rasch – oftmals verständlich – für alles ein Verantwortlicher gesucht. Passiert ein Unglück, muss es einen Schuldigen geben. Findet man keinen, so liegen die Versäumnisse automatisch beim Staat“, sagte Dr. Beate Merk bei ihrem Grußwort.
„Wir wollen die Kompatibilität unserer Ausrüstung an den Schnittstellen mit anderen Organisationen verbessern, unser Wissen austauschen und die Zusammenarbeit optimieren“, sagte Oberst Erich Pfeffer nach einer mehrteiligen Rettungsvorführung von Bergwacht, Bundeswehr und Polizei in der Kaserne. Justizministerin Dr. Beate Merk, der Direktor des Amtsgerichts Laufen, Dr. Klaus Hellenschmidt, Bergwacht-Regionalleiter Thomas Küblbeck und Polizeidirektor Hubertus Andrä verfolgten gespannt, wie ein junger Soldat nach Sturz in sein Seil von einer Kletterwand gerettet wurde. Im so genannten Kaper-Verfahren sicherte der Bergwacht-Luftretter den Unfallmimen mit einer zweiten Schlinge an den Windenhaken des Polizeihubschraubers und befreite den Kletterer aus seiner eigenen Sicherung – am Windenseil wurden beide nach oben weggezogen. Polizeibergführer und Bergwacht-Helfer demonstrierten im Anschluss, wie ein tödlicher alpiner Unfall aufgenommen und bearbeitet wird. Mit einer Seilbahn zwischen zwei Gebäuden konnte sich ein Bundeswehr-Soldat über einer fiktiven Unfallstelle in einer Schlucht positionieren und sich zur Kameradenhilfe abseilen. Auch das neue Drehleiter-Seilzug-System (wir berichteten) von Bergwacht und Feuerwehr kam zum Einsatz – nur durch Ein- und Ausfahren des Leiterkrans wurden Unfallmime und Bergwacht-Retter Stück für Stück nach oben gezogen.

Wie alle Organisationen bei einem Lawinenunfall Hand in Hand zusammenarbeiten, demonstrierten die Retter bei der Suche nach einem Verschütteten Tourengeher. Im Bundeswehr-Hubschrauber wurde der Bergwacht-Lawinenhundeführer zum fiktiven Unglücksort gebracht. Nach nur kurzer Suche zeigte der Suchhund die Position des Vermissten punktgenau an. Während weitere Retter den Verunfallten befreiten und abtransportierten, sondierte eine Mannschaft das komplette Lawinenfeld, um mögliche weitere Opfer zu orten.

„Gefahren können durch Techniken wie den Lawinenairbag minimiert, aber nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Ein Restrisiko bleibt“, kommentierte Bergwacht-Regionalleiter Thomas Küblbeck. Das Gebirge sei kein rechtsfreier Raum. Die Justiz dürfe nicht erst dann ins Spiel kommen, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind und sich die Frage nach dem Schuldigen stellt, mahnte Dr. Beate Merk. „ Wir wollen über den rechtlichen Hintergrund rechtzeitig aufklären und zugleich die oft schwierige Situation eines Einsatzleiters oder Ausbilders verstehen lernen. Juristisch trittsicher ausgestattet, sollen sich die Einsatzkräfte auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren können. Gerade wenn es um Lebensrettung geht, besteht die Gefahr, dass die Helfer aus guter Absicht zu große Risiken eingehen.“

„Unfallorte als Tatorte – Eigenverantwortung und Sorgfaltspflichten im Gebirge“, um einen rechtlichen Rahmen aufzuzeigen, hatte Dr. Klaus Burger bereits im Vorfeld des zweitägigen Symposiums ein umfangreiches Kompendium erarbeitet, in dem er am Beispiel aktueller Unfälle alle relevanten Rechtsfragen bei gefährlichen Touren und Einsätzen diskutiert. Kann ein Soldat noch eigenverantwortlich handeln, wenn er den Befehl seinen Vorgesetzen ausführen muss? An welchen Maßstäben soll sich der Offizier orientieren, wenn er seine Sorgfaltspflicht gegenüber der Mannschaft erfüllen muss?
Auch der Einsatzleiter der Bergwacht hat ein Weisungsrecht, die Dienstpflicht der Helfer basiert aber auf der Grundlage von Freiwilligkeit. Während bei Übungen viele Anwärter aufgrund ihrer bisher unzureichenden Ausbildung das Risiko nur schlecht einschätzen können und die Sorgfaltspflicht des Ausbilders zum Tragen kommt, spielt im Einsatzfall auch die Eigenverantwortung der eingesetzten Helfer eine Rolle. Der Einsatzleiter kann seine Sorgfaltspflicht nur erfüllen, indem er fachlich geeignetes Personal zusammenstellt und alle Retter bei einer Lagebesprechung auf die Risiken aufmerksam macht.
Oberstleutnant Thomas Corthobius von der Gebirgs- und Winterkampfschule Mittenwald gab den Seminarteilnehmern einen Einblick in die Gebirgsausbildung der Bundeswehr und alle relevanten Dienstvorschriften. Als Alpinsachverständiger und bekannter Sachbuchautor zeigte Pit Schubert an vielen Beispielen auf, wie oft Unfälle durch Material und falsche Anwendung verursacht werden. Doppelte Sicherheit durch Redundanzen sei auch im Erlebnisbereich unverzichtbar geworden, meint Schubert.
Peter Wiesent, Beauftragter für die Alpinausbildung am Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei demonstrierte, wie Unfälle auf Skipisten aufgenommen und bearbeitet werden, wobei unter anderem ein Simulationsprogramm zum Einsatz kommt. „Es gibt eine Zeit vor und nach dem Jamtal-Lawinenunglück, bei dem neun Menschen ums Leben kamen“, sagte Peter Geyer, Ehrenpräsident des Internationalen Bergführerverbandes. Mittlerweile habe man klare Richtlinien mit einem Risikomanagement für Bergführer erarbeitet. Der Gast dürfe dennoch nicht dem Irrglauben verfallen, dass ein Bergführer automatisch absolute Sicherheit bedeute.
Klaus Weber, ehemaliger Präsident des Landgerichts Traunstein und Fachberater beim DAV referierte zum Thema „Standards in der Winterausbildung und im Einsatz – rechtliche Aspekte“. Welche Stellung beim gefährlichen Rettungseinsatz die Führsorgepflicht des Einsatzleiters einnimmt und warum jeder eingesetzte Retter dennoch für sich selbst verantwortlich ist, erklärte Michael Grassl, zugleich Präsident des Deutschen Bergführerverbandes und Ausbildungsleiter der Bergwacht-Region Chiemgau. Größtmögliche Sicherheit für alle eingesetzten Helfer war das Ziel von Bergwacht-Einsatzleiter Hans Lohwieser, der vom Lawinenunglück am Schrecksattel berichtete. Mit regelmäßigen Lagebesprechungen, fest eingeteilten Rettungsteams, notwendiger Sicherheitsausrüstung und einer strukturierten Führung verlief der Einsatz in Zusammenarbeit mit Bundeswehr, Polizei und THW trotz des hohen Risikos sehr koordiniert.