Bewertung:  / 0
SchwachSuper 

Verfasser: Hanna Hutschenreiter, Markus Leitner, Tobias Kurz, aktualisiert am 17.1.07 um 11:44 Uhr

Das Bayerische Rote Kreuz im Kostenstreit mit den Krankenkassen

BERCHTESGADENER LAND/MÜNCHEN (ml) – In ganz Bayern hat das BRK bei der Rettung von Verletzten aufgrund der fortgesetzten Blockadehaltung der gesetzlichen Krankenkassen ein großes finanzielles Risiko zu tragen. Trotz gesetzlicher Verpflichtung weigern sich die Kassen seit mittlerweile fast drei Jahren, dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) die Kosten für Rettungseinsätze zu erstatten. Das BRK leistet rund 86 Prozent des Rettungsdienstes im Freistaat. Seit 2004 wird dem Rettungsdienst der größten bayerischen Hilfsorganisation bis heute die Erstattung nachgewiesener Kosten durch die Kassen vorenthalten. Bis einschließlich 2006 sind dies voraussichtlich über 10 Millionen Euro. Lediglich Abschlagszahlungen werden geleistet. Die Differenz muss das BRK mit Krediten finanzieren, die weitere Kosten verursachen. „Für den BRK-Kreisverband Berchtesgadener Land bedeutet dies offene Forderungen von über 500.000 Euro. Die Summe ist deshalb so hoch, da die Zahl der Zivildienstleistenden im Landkreis aufgrund fehlender Bewerber massiv gesunken ist und wir dafür überwiegend hauptamtliches Personal einstellen mussten“, erklärt Kreisgeschäftsführer Tobias Kurz.
Nach den Worten des BRK-Bereichsleiters Klemens Reindl ist die fortlaufende Finanzierung des BRK-Rettungsdienstes somit ernsthaft gefährdet. Reindl: „Wir können eine flächendeckende Versorgung verletzter Menschen vor diesem Hintergrund auf Dauer in dieser Qualität nicht mehr gewährleisten.“ Deshalb muss sich die Hilfsorganisation für die Kosten von 2005 bereits auf ein langwieriges gerichtliches Verfahren einlassen und hat Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Kurz vor Weihnachten sind die Verhandlungen mit den Kassen für den Etat für 2006 gescheitert. Nach Berechnungen des BRK belaufen sich die Kosten für das vergangene Jahr für den Rettungsdienst Bayern für alle Durchführenden auf rund 310 Millionen Euro. Reindl: „Das Angebot der Kassen liegt bei 300 Millionen. Für 10 Millionen Euro entstandene Kosten gibt es keine Erstattung. „Die Verantwortung dafür haben ganz allein die Kassen zu tragen“, stellte der Rettungsdienstchef klar.

Wie Reindl versicherte, habe das BRK den Kassen unter Führung der AOK Bayern seit Anfang 2005 in nicht weniger als 16 langwierigen Verhandlungsrunden die Kostenstrukturen des Rettungsdienstes bis ins kleinste Detail offen gelegt. Die Krankenkassen hätten bislang nur pauschale Kritik geübt und seien nicht bereit gewesen, eine sachliche und inhaltliche Diskussion zu führen. So sind sie nicht bereit den erhöhten Sachaufwand oder die gestiegenen Spritkosten für 2006 zu finanzieren. Ein weiterer Streitpunkt sind auch die Kosten für das Personal. Reindl bezeichnete daher die Haltung der Kassen als „fahrlässig und verantwortungslos“. Kurz vor Weihnachten habe die Kassenseite die vorläufig letzte Verhandlungsrunde scheitern lassen. Im Berchtesgadener Land sind die Personalkostensteigerungen ausschließlich auf den Rückgang der Zivildienstleistenden zurückzuführen.
Insbesondere bei den Personalkosten sind nach den Worten des Bereichsleiters für den BRK-Rettungsdienst die Aufwendungen aufgrund einer hohen Quote ehrenamtlich tätigen Personals äußerst moderat. Nach Feststellung des Bayerischen Obersten Rechnungshofes sparen sich Staat und die Kostenträger im Rettungsdienst jährlich 25 Millionen Euro durch das Engagement der BRK-Ehrenamtlichen. „2005 haben unsere freiwilligen Helfer im Berchtesgadener Land rund 38.500 ehrenamtliche Einsatzstunden im Rettungsdienst und Krankentransport geleistet, was einer Ersparnis an Personalkosten von fast 500.000 Euro entspricht“, berichtet Kreisgeschäftsführer Tobias Kurz. Dennoch haben die Krankenkassen laut Reindl die Kosten seit 2004 eingefroren. Das Angebot der Krankenkassen für die Kostenerstattung liege 2006 sogar noch unter dem Niveau von 2004.
Das BRK habe, so der Rettungsdienstchef, bis ins Kleinste vorgerechnet, welche Kostensteigerungen für das flächendeckende Versorgungsnetz angefallen sind. Die Notfallversorgung erfordere es, dass ein Rettungsfahrzeug rund um die Uhr mit qualifiziertem Personal, wovon ein nicht geringer Teil hauptamtlich beschäftigt sei, besetzt sein müsse. Hier würden Lohnsteigerungen durch Tariferhöhungen anfallen. „Aber seit 2004 haben die Mitarbeiter keine Lohnanpassung erhalten.“ So könne man mit Menschen, die obendrein äußerst engagiert seien, auf Dauer nicht umgehen.
Ferner müsse ein Einsatzfahrzeug heute mit lebensrettender High-Tech-Ausstattung ausgerüstet sein, was beträchtliche Betriebskosten zur Folge habe. Laut Klemens Reindl fallen außerdem beim Rettungsdienst im Flächenstaat Bayern jährlich 35 Millionen Fahrt-Kilometer an: „Allein die steigenden Spritkosten können wir nicht kompensieren.“
Nach dem bayerischen Rettungsdienstgesetz müssen die Kassen die anfallenden Kosten für den Rettungsdienst ersetzen. Er habe durchaus Verständnis für die Finanzsituation der Kostenträger, betonte Reindl. Er könne aber nicht nachvollziehen, dass die Kassenbeitragskosten in diesem Jahr erneut steigen und die Leistungen für den Rettungsdienst sinken.

Der Rettungsdienstchef: „Die Kassen spielen auf Kosten von Patienten und der BRK-Mitarbeiter auf Zeit, da der Weg über die Schiedsstellen oder Gerichte langwierig und zeitintensiv ist.“ In den vielen Verhandlungen habe er außerdem den Eindruck gewonnen, dass die Kassen die Strategie einer schleichenden, stetigen Kürzung durch die Hintertür verfolgten. Auf Qualitätseinbußen mit reduzierter Versorgung zum Beispiel durch eine Ausdünnung des Rettungswachen-Netzes werde sich das BRK vor dem Hintergrund seiner Verantwortung nicht einlassen.

Der Landesarzt des Bayerischen Roten Kreuzes und Würzburger Notfall-Mediziner Prof. Dr. Peter Sefrin verdeutlichte den Standpunkt von Bayerns größter Hilfsorganisation aus ärztlicher Sicht: „Wir müssen Menschenleben retten und dafür die notwendigen materiellen und personellen Ressourcen haben. Aus diesem Grund können wir die Haushaltspolitik der gesetzlichen Krankenkassen nicht nachvollziehen und erst recht nicht akzeptieren. Die Kassen sollten endlich respektieren, was sie durch eine präklinische Notfallmedizin an immensen Folgekosten sparen“, forderte der Mediziner. Beabsichtigte Kürzungen für den Rettungsdienst in einer Größenordnung von drei Prozent für das vergangene Jahr ließen daher an dem Verständnis der Verhandlungsführer zweifeln. Zu diesem Schluss müsse man zwangsläufig kommen, wenn man die bundesweiten Steigerungsraten von 26 Prozent bei den Krankenhausbehandlungskosten und zehn Prozent bei den Arzneimittelkosten ins Verhältnis setze. Sefrin sieht in der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes eine gute Chance, um für die notwendige Sicherheit der Durchführenden zu sorgen.

Hintergrundinformationen:

Auftrag und Funktion des Rettungsdienstes

Der Rettungsdienst ist eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge und wird von den Ländern organisiert. Ein Rettungsdienstgesetz und entsprechende Ausführungsbestimmungen sind hierfür die Basis. 26 Rettungszweckverbände mit ihren Kreis- und Stadträten sorgen in Bayern dafür, dass in den Regionen des Landes an einsatzstrategisch günstigen Standorten ausreichend Rettungswachen und Stellplätze vorhanden sind. Von hier aus wird über die Anzahl der Fahrzeuge und über die so genannte Vorhaltung bestimmt. Die Vorhaltung regelt die Zeiten, in denen die Rettungswachen und die Stellplätze für Fahrzeuge besetzt sein müssen. Diese Regelung stellt sicher, dass die Vorgaben des erwähnten Rettungsdienstgesetzes erfüllt werden. So gilt, dass innerhalb von zwölf Minuten in der Stadt und in ländlichen Regionen innerhalb von 15 Minuten jedes an einer Straße gelegene Ziel zu erreichen ist. Im Auftrag der Rettungszweckverbände übernehmen die Hilfsorganisationen und die privaten Anbieter die praktische Durchführung des Rettungsdienstes.

Medizinische Fakten im Rettungsdienst

Die Überlebensrate von schwer verletzten Unfallopfern stieg in den letzten zehn Jahren auf 78 Prozent. Davon entfallen auf akute Erkrankungen 65 Prozent, der Rest der Einsatzanlässe sind Unfälle.

Kostenregelung

Die Finanzierung des Rettungsdienstes liegt bei den Krankenkassen. Die Übernahme der nachgewiesenen, notwendigen Kosten ist gesetzlich geregelt. Es werden weder Gewinne erwirtschaftet, noch Rückstellungen vorgenommen. Für jedes Haushaltsjahr werden alle Sach- und Personalkosten ermittelt und daraus dann die Kosten für den einzelnen Einsatz errechnet. Damit gilt für ganz Bayern und dabei unabhängig vom zeitlichen sowie räumlichen Umfang eines Einsatzes eine einheitliche Preisgarantie.

Fakten bayernweit

Rund 86 Prozent des Rettungsdienstes im Freistaat Bayern werden vom BRK erbracht. Weitere beteiligte Organisationen sind: Malteser Hilfsdienst, Johanniter Unfallhilfe, Arbeiter–Samariter-Bund und private Anbieter. Darüber hinaus ist in der Landeshauptstadt München die Feuerwehr im Notarztdienst tätig.

Kosten Rettungsdienst

Abschluss für 2006 (vorläufige Hochrechnung, Abschlusszahlen liegen erst im Februar 2007 vor)
Rund 310 Millionen Euro für alle Durchführenden des Rettungsdienstes in Bayern.

Beispiele zu Einsparungen durch Leistungen des BRK

Ehrenamtliche Leistungen 2006: 1,3 Millionen Stunden insgesamt. Dieses ehrenamtliche Engagement erspart jedes Jahr nach Berechnungen des Obersten Rechnungshof rund 25 Millionen Euro. Dazu kommen weitere Einsparungen in Höhe von rund 17 Millionen Euro durch die Stellung von Fahrern für Notarzteinsatzfahrzeuge, die von den Kassen ebenfalls nicht vergütet werden.
Zentraleinkauf für Rettungsdienstfahrzeuge für alle Organisationen durch das BRK: Rund sieben Millionen erzieltes Einsparpotential durch Bündelung des Beschaffungsvolumens.

Ehrenamtliche Leistungen

BRK-Schnell-Einsatz-Gruppen unterstützten den Rettungsdienst bei größeren und zeitaufwändigeren Einsätzen.
Die BRK-Wasserwacht führt als Spezialist den Wasserrettungsdienst durch. Darüber hinaus unterstützt die Wasserwacht das vernetzte Hilfeleistungssystem des Bayerischen Roten Kreuzes. Alle Einheiten wirken zusammen und bilden damit ein schlagkräftiges Rettungssystem.
Die BRK-Bergwacht leistet den Bergrettungsdienst und unterstützt bei Schneekatastrophen oder bei Unfällen in schwer zugänglichem Gelände den regulären Rettungsdienst. Darüber hinaus unterstützen die Mitglieder das vernetzte Hilfeleistungssystem des Bayerischen Roten Kreuzes.
BRK-Bereitschaften unterstützen den Rettungsdienst in den Sommermonaten durch die Motorradstreife und bilden das Rückgrad des Katastrophenschutzes des Bayerischen Roten Kreuzes
BRK-Kriseninterventionsdienste leisten seelische Hilfe bei Einsatzkräften und Patienten nach traumatischen Einsätzen.
BRK-Schnelleinsatzgruppen für Gefahrenstoffe und gefährliche Güter helfen bei Unfällen und Verunreinigungen mit giftigen Stoffen aus den Bereichen Chemie, Biologie und Radioaktivität, sowie terroristischen Anschlägen. Diese Spezialgruppen sind auch in der Lage Dekontaminierungseinheiten in der Region aufzubauen und kontaminierte Patienten notfallmedizinisch zu versorgen.
Der BRK-Einsatzleiter leitet bei größeren Unfällen die Einsätze organisatorisch vor Ort.
BRK-Großeinsätze wie die Fußball-Weltmeisterschaft und der Papstbesuch: Für große Schadensereignisse, planbare sowie nicht planbare, wie z.B. bei Naturkatastrophen und Terroranschlägen, hat das BRK effektive Konzepte zur Versorgung vieler Verletzter am Unfallort entwickelt. Bei der Fußball-WM und beim Papstbesuch wurden rund 150.000 ehrenamtliche Stunden bei 11.800 Helfereinsätzen geleistet.

Zahlen und Fakten zum BRK-Rettungsdienst überregional:

223 Millionen Euro Kosten BRK-Rettungsdienst insgesamt für 2005
3.354 hauptamtliche BRK-Rettungsdienst-Mitarbeiter

Einsatzmittel 2005

452 Rettungswagen
206 Notarzteinsatzfahrzeuge
516 Krankentransportwagen
5 Intensivtransportwagen
7 Rettungshubschrauber (Personalgestellung)

Standorte 2005

308 Rettungswachen
600 Wasserrettungsstationen
106 Einsatzwachen der Bergwacht
2 Rettungshubschraubestationen (Betreiber)

Einsätze und Fahrleistung BRK 2005

1.07 Millionen Einsätze insgesamt
316.092 Einsätze in der Notfallrettung
703.908 Einsätze im Krankentransport
1.830 Einsätze im Intensivtransport
35 Millionen Kilometer Fahrleistung
4.100 Stunden Flugleistung

Der Rettungsdienst im BRK-Kreisverband
Berchtesgadener Land:


Kosten 2005:
Ist-Kosten: 2.576.964,68 Euro
Offene Forderungen: 498.205,47 Euro (bis einschließlich 2005)
13.047 Einsätze 2005
510.062 Kilometer Fahrleistung 2005
38.506,61 ehrenamtlich geleistete Einsatzstunden
Durch diese Leistung konnten 15,94 hauptamtliche Stellen eingespart werden, was einem Gegenwert von fast 500.000 Euro im Jahr entspricht

Rettungswachen, Stellplätze und Fahrzeuge

Bad Reichenhall:
2 Rettungswagen
2 Krankentransportwagen
1 Notarzteinsatzfahrzeug

Berchtesgaden:
2 Rettungswagen
2 Krankentransportwagen
1 Notarzteinsatzfahrzeug

Freilassing:
2 Rettungswagen
1 Krankentransportwagen
1 Notarzteinsatzfahrzeug

Teisendorf:
1 Rettungswagen