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Schon lange vor Gründung des Roten Kreuzes engagierten sich die Reichenhaller wie selbstverständlich für Notleidende

BAD REICHENHALL (wb) - 125 Jahre ist es nun her, dass im Jahr 1892 in Bad Reichenhall mit Männern eine Sanitätskolonne gebildet wurde. Bereits 1859 waren es aber Frauen und Jungfrauen in Reichenhall, die sich, wie selbstverständlich, um Verletzte aus der Schlacht von Solferino in Oberitalien kümmerten, welche in Verwundetentransporten durch die Stadt rollten – ohne das Zutun des späteren Gründers des Internationalen Roten Kreuzes, Henry Dunant!

Wie der Stadtarchivar Dr. Johannes Lang in seinem Festvortrag beim Festabend der BRK-Bereitschaft, gewohnt präzise und geschichtlich fundiert offenlegte, waren Sanitätskolonnen zunächst einmal eine Folge vieler schrecklicher, menschenverachtender Kriege im 19. Jahrhundert, die nicht selten von dem berühmten Zitat des griechischen Naturphilosophen Heraklit, wonach der Krieg der Vater aller Dinge ist, abgeleitet worden sind. Noch in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg hatte das Recht des Stärkeren und die Notwendigkeit, dies regelmäßig beweisen zu müssen einen hohen Stellenwert. Zwei Weltkriege, eine Diktatur, ein Völkermord und eine Stunde Null machten bewusst, dass ein Krieg zunächst der Anfang vom Ende ist und Heraklit wohl nicht den Krieg mit Waffen, sondern die Auseinandersetzung mit scheinbar unvereinbaren Standpunkte, Sichtweisen und Verhältnisse gemeint hat. Aus seiner intensiven Beschäftigung mit den zahlreichen Stadtbränden in Reichenhall und in der Region resümierte Lang, dass nach 800 Jahren ständig wiederkehrender Feuersbrünste erst im 16. Jahrhundert, durch Brandschutz- und Feuerlöschordnungen und die Etablierung einer Militär-ähnlich organisierten Feuerwehr entgegengewirkt wurde. Die Feuerwehr wurde also zum Garanten für schnelle Hilfe und Schadensminimierung. So war es auch die örtliche Freiwillige Feuerwehr, die im Frühjahr 1887 eine Sanitätskolonne ins Leben rief, die sich aus hiesigen approbierten Badern (Wundärzte) und Feuerwehrmännern zusammengesetzt hat. Allerdings ging die Kolonne, auch wegen der ablehnenden Haltung der akkreditierten Kurärzte zu den Badern, bald darauf wieder ein. Wie bereits erwähnt, waren Sanitätskolonnen zunächst einmal eine Folge von Kriegen. Besonders im 19. Jahrhundert wurde viele davon geführt, die an Menschenverachtung beispiellos waren. In den napoleonischen Kriegen wurde bereits offenbar, dass die so genannten „Fliegenden Feldlazarette“ ohne Schutz waren. Versuche, dies zu ändern wurden zwar von verschiedenen Ländern unternommen, meist aber siegten die Interessen der Armeen oder es ging ausschließlich um nationale Lösungen. Eine solche nationale Lösung war die Gründung eines „Gesamtvereins Bayerischer Frauen und Jungfrauen“ durch Königin Marie von Bayern a. 6.6.1859 zum Zwecke der Bereitstellung von Verbandsmittel für die Feldlazarette. Nur 10 Tage später folgt auch in Reichenhall ein „Aufruf an die Frauen und Jungfrauen“ in dem unter anderem um Leintücher, Leinwand, Mullbinden, Dreieckstücher oder Handtücher gebeten wurde. Am 24. Juni 1859 tobte im oberitalienischen Solferino gerade eine grausame Schlacht mit 30.000 getöteten und 10.000 vermissten Soldaten. Noch am Abend der Schlacht kam der Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant an den Kriegsschauplatz der ihm ein Bild des Grauens bot. Spontan organisiert Dunant eine Hilfsaktion unter der Bevölkerung der umliegenden Gemeinden, um den Verletzten der Schlacht zu helfen. Vier Jahre später führte dieser dort erwachsene „Geist von Solferino“ zur Gründung des „Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“ und in der Folge zur ersten Genfer Konvention. Gegenwärtig gehören weltweit fast 100 Millionen aktive Mitglieder zu dieser Hilfsorganisation. Das erstaunliche und besondere an der Geschichte ist, dass dieser „Geist von Solferino“ bereits 1859 unmittelbare Auswirkungen auf Reichenhall zeigte-ohne das Zutun von Henry Dunant! Über die Zeitungen waren die Bürgerinnen und Bürger über den Krieg informiert und zwar nicht nur über Heldentaten, sondern in auffälliger Weise auch über die Gräuel und Brutalität dieses modernen Krieges und dem hohen Grad an schweren und schwersten Verletzungen. Durch die Lage der Stadt am Eingang zum Alpenraum zogen schon lange Zeit immer wieder riesige Truppenkontingente - auch ausländischer Mächte - zu Kriegsschauplätzen oder von dort mit Verwundeten zurückkommend durch die Stadt. Trotz einer gewissen Gewohnheit mussten die Stadtbewohner im Sommer 1859 nun miterleben, dass Verwundete wie Tiertransporte durch Reichenhall gekarrt wurden, begleitet von Militärärzten ohne jegliches Verbandzeug. Wie Dr. Lang wertete, organisierten die Reichenhaller in wirklich bemerkenswerter, professioneller Art und Weise, die Ankunft der Verwundeten-Transporte, richtet besondere Verpflegungsorte und Verbandsplätze ein, organisierte Essen und Trinken, fertigte Verbandsmaterial und sammelte Spenden für die Salzburger Spitäler. Grund genug für die Mutter des österreichischen Kaisers am 22. Juli 1859 Reichenhall zu besuchen und den Bewohnern zu danken. Einige Jahre später führte die katastrophale Niederlage Bayerns 1866 zur Gründung eines Allgemeinen Invaliden- und Unterstützungsvereins. Die Hilfe der Reichenhaller funktioniert auch noch, ungeachtet der Tatsache, dass man einer fremden, wenn auch befreundeten Macht half, als 1870 Verwundete vom französischen Kriegsschauplatz in die Stadt kamen. In diesen Krieg wurden auch mehrere Hundert Frauen und Männer, als so genannte „Hilfskolonnen“, später „freiwillige Sanitätskolonnen“ genannt geschickt. Aus Reichenhall begab sich unter der Leitung des Kurzarztes Dr. Friedrich Kammerer ein Spitalzug mit 30 Krankenwägen, 120 Betten, 3 Ärzten, 2 Schwestern und 18 Krankenpfleger an die Front. Als Ausfluss aus diesen Erfahrungen wurden auf Geheiß der bayerischen Königin Marie, 1872 dauerhaft bestehende Frauenvereine in ganz Bayern gegründet. Auch hier nahm Reichenhall eine Sonderstellung ein, da es bereits sei 1844 einen zeitweise karitativ tätigen Frauenverein gab. 1881 folgte nun die Gründung eines festen „Frauenverein unter dem rothen Kreuze“. Zudem sah man nun auch in Reichenhall die Notwendigkeit, eine so genannte Sanitätskolonne mit einer ständigen Hilfsbereitschaft für die vielschichtigen Unglücksfälle einzurichten. Aus dem Erfahrungen nach dem bereits erwähnten Scheitern eine solche im Jahr 1877 zu gründen war die Erkenntnis gereift, dass die Initiative von einem Mediziner ausgehen musste. Dieser fand sich in der Person des hoch angesehenen Kurarztes Dr. Karl Schöppner, der immer wieder selbst zu lebensrettenden Maßnahmen an Ort und Stelle gewesen ist. Schon im Oktober und November 1892 streute er in der Stadt den Gedanken zur Gründung einer freiwilligen Sanitätskolonne unter dem Roten Kreuz und konnte auch sofort etliche Männer dafür begeistern. Am 20. November folgte schließlich die Gründung. Unter fachkundiger Anleitung und in vielen Übungsstunden wurden Männer ausgebildet, die „dem Chaos durch Wohlgeordnetheit entgegentreten konnten“. Erst mit Pferdegespannen, dann mit Automobilen, Ausbildungsstätten, speziellen Gerätschaften und einem ausdifferenzierten und spezialisierten Betätigungsfeld entwickelte sich die Bereitschaft des Bayerische Roten Kreuzes, mit ihren vielen Frauen und Männern in Bad Reichenhall zu einer von fünf starken, leistungsfähigen Einheiten. Mit den Worten: „Für diese eindrucksvollen Leistungen im Namen der Menschlichkeit und im Sinne eines wohlorganisierten Zusammenlebens in unserer Gesellschaft spreche ich Ihnen meine Hochachtung aus, danke Ihnen und gratuliere herzlich zum Jubiläum“ schloss Dr. Lang seine Betrachtung. Diese ging wohltuend weit über die üblichen Formate von Festreden hinaus, stellten das Gründungsjubiläum im Kontext mit der örtlichen Geschichte, arbeiteten Besonderheiten für die Stadt heraus und erinnerten an die Leitsätze des Roten Kreuzes, in denen uneingeschränkte Hilfsbereitschaft für alle Menschen gefordert wird.