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6,4 Prozent mehr Einsätze als 2016 – vergangenes Jahr gab es 19 Bergtote in den Chiemgauer und Berchtesgadener Alpen

BERCHTESGADENER LAND/CHIEMGAU (ml) – Sie führt Tag und Nacht bei jedem Wetter den Rettungsdienst im alpinen und unwegsamen Gelände durch: Die Bergwacht Bayern ist eine ehrenamtliche Gemeinschaft im Bayerischen Roten Kreuz (BRK) und als einzige Organisation für den Bergrettungsdienst im Freistaat zuständig. Zu den 15 Bereitschaften in der Region Chiemgau (Landkreise Berchtesgadener Land, Traunstein und Altötting) gehören aktuell rund 600 aktive Einsatzkräfte, die im vergangenen Jahr zu 986 Einsätzen ausrücken mussten, 60 (rund 6,4 Prozent) mehr als 2016. Bei einem Pressegespräch am Dienstagnachmittag auf dem Predigtstuhl stellten Regionalleiter Dr. Klaus Burger, sein Stellvertreter Thomas Lobensteiner, Geschäftsführer David Pichler, der Leiter der Such- und Lawinenhundestaffel, Stefan Strecker sowie Technikbus-Chef Alexander Beaury die facettenreiche und in Teilbereichen hochspezialisierte Arbeit der Bergwacht vor und beleuchteten die Entwicklung der Einsatzzahlen während der vergangenen Jahre.

Rückläufige relative Einsatzzahlen, aber immer mehr Blockierungen
„Die absoluten Zahlen sind mit wetterbedingten Schwankungen während der letzten Jahre weitgehend konstant geblieben; da allerdings immer mehr Menschen im Gebirge unterwegs sind und der Bergsport boomt, können wir allgemein sogar von rückläufigen relativen Unfallzahlen ausgehen“, freut sich Dr. Burger, der zugleich Vorsitzender des Deutschen Gutachterkreises für Alpinunfälle ist. Die Bergwacht beobachtet allerdings, dass die Zahl der so genannten mentalen und objektiven Blockierungen zunimmt – also immer mehr Menschen aus Bergnot gerettet werden müssen, die eigentlich unverletzt und auch nicht akut erkrankt sind, allerdings im steilen Gelände überfordert sind, an ihre psychischen, körperlichen und bergsteigerischen Grenzen stoßen, also schlichtweg feststecken. „Ursächlich sind fast nie schlechte oder fehlende Ausrüstung, sondern vor allem Selbstüberschätzung, oft bedingt durch mangelnde Fitness, Bergerfahrung und Übung“, erklärt Burger, der als neutraler Retter an sich die Einsätze nicht bewerten will, sich aber in der Pflicht sieht, die Öffentlichkeit präventiv auf häufige Ursachen und verkannte Gefahren hinzuweisen, da sich dadurch die ein oder andere Notlage vermeiden lässt, vor zeitkritische und lebensrettende Informationen wie hohe Lawinengefahr, vereiste Pisten, die frühe Dunkelheit nach der Zeitumstellung oder auch mal nur der Hinweis, das Handy vor der Tour zu laden, um verlässlich für sich oder andere die Rettungskette in Gang setzen zu können.

Er erinnert sich an jahreszeitbedingte Einsätze, wenn im Frühling Sommerwanderer in vom Tal aus nicht erwarteten Altschnee-Feldern feststecken oder ohne Stirnlampe in die Dunkelheit geraten, aber auch an Mountainbiker, die in absturzgefährliches Gelände geraten oder an die vielen internationalen Touristen ohne Berg-Bezug, die nur ganz kurz den „Kingslake“ oder Watzmann besuchen wollen und dann im steilen Gelände scheitern. „Die absolute Zahl der Einsätze spiegelt nie den tatsächlichen Aufwand wider, denn an komplexen, größeren Rettungen sind oft 30 oder mehr Einsatzkräfte beteiligt; bei Suchaktionen auch mehrere Tage hintereinander“, berichtet Burger, der den rund 600 ehrenamtlichen Bergrettern der gesamten Region für ihr leidenschaftliches, außergewöhnliches  Engagement dankt: „Unsere Leute leben für ihr Ehrenamt, bringen enorm viel Zeit für Aus- und Fortbildung ein, sind zu den oft unmöglichsten Zeiten bei manchmal sehr widrigen Verhältnissen im Gelände unterwegs, wobei sie auf Verständnis und Unterstützung von Familie, Freunden und Arbeitgebern angewiesen sind – allen dafür ein herzliches Vergelts Gott! Bergwacht ist Leidenschaft, daraus erwachsend unsere besondere Tatkraft und Schlagkraft! Kommt wegen Nebel oder Sturm kein Hubschrauber durch oder ist die Einsatzstelle nicht per Geländefahrzeug erreichbar, so vervielfacht sich der Zeit-, Personal- und Materialaufwand schnell um ein Vielfaches. „Was sonst fliegerisch nur ein bis zwei Stunden dauert, wird bei schlechtem Wetter rasch zu einer sehr komplexen und langwierigen Rettungsaktion – wie in alten Zeiten, als die Bergretter generell zu Fuß auf- und absteigen mussten“, erläutert Dr. Burger.

19 Bergtote
Im vergangenen Jahr gab es 19 Bergtote in den Berchtesgadener und Chiemgauer Alpen; 2016 waren es 22. „Das sind regionale Schwankungen, die einfach davon abhängen, wie viele Leute unterwegs sind. Bayernweit blieb die Zahl aber mit rund 80 bis 100 Toten jährlich während der letzten Jahre ziemlich konstant“, berichtet Geschäftsführer David Pichler. Die 986 (2016: 926) Einsätze der Bergwachten in der Region Chiemgau für verletzte, erkrankte oder in Bergnot geratene Menschen verteilen sich auf

387 beim Skifahren auf der Piste (2016: 313)

211 beim Wandern (2016: 216)

146 beim Bergsteigen (2016: 140)

64 sonstige Einsätze (zum Beispiel Arbeitsunfälle; 2016: 61)

58 beim Snowboardfahren (2016: 51)

33 beim Bergradeln (2016: 37)

30 Sucheinsätze (2016: 41)

29 beim Klettern (2016: 50)

26 bei Skitouren (2016: 14)

16 beim Gleitschirmfliegen (2016: 12)

13 beim Langlaufen (2016: 12)

9 Lawineneinsätze (2016: keiner)

7 beim Rodeln (2016: 4)

4 beim Schneeschuhwandern (2016: 4)

keiner beim Höhlenbegehen (2016: 1)

keiner beim Berglaufen (2016: 1)

keiner beim Skispringen (2016: 5)

keiner beim Drachenfliegen (2016: 5)

keiner beim Canyoning (2016: keiner)

keiner beim Eisklettern (2016: keiner)

keiner bei Katastrophen (2016: 1)

Dabei wurden 254 der Einsätze mit Hubschrauber-Unterstützung abgewickelt, also entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nur rund ein Viertel; in den meisten Fällen ist die Bergwacht zu Fuß im unwegsamen Gelände unterwegs. 

Ob viel los ist, hängt von Wetter und Tourismus ab
„Die Zahl der Einsätze hängt vor allem vom Wetter während der Haupturlaubszeiten und davon ab, ob es einen schneereichen Winter und schönes Wetter gab, da dann allgemein mehr Leute unterwegs sind und die Bergwacht in den Skigebieten viel mehr Arbeit hat. Ist zur Ferienzeit gutes Bergwetter, dann sind auch mehr Menschen am Berg – und wo mehr los ist, passiert in der Regel auch mehr“, erklärt Dr. Burger. Nach der vollzogenen Strukturreform mit vier Einsatzleitbereichen und einem Netz aus ehrenamtlichen Einsatzleitern, die über insgesamt vier eigene Einsatzleitfahrzeuge verfügen, arbeitet die Bergwacht in der Region Chiemgau trotz ihres ehrenamtlichen Charakters stetig professioneller. Spezialisierte Gruppen stehen zusätzlich zur Rettung aus wasserführenden Schluchten bereit (Canyon-Rettung), kümmern sich um die psychische Betreuung von Betroffenen nach schweren Bergunfällen (Kriseninterventionsdienst (KID)) oder bilden Suchhunde für Lawineneinsätze (Lawinen- und Suchhundestaffel) aus. Die Bergwacht Freilassing ist zusätzlich Bergrettungswache für Höhlenrettung und deckt den südostbayerischen Raum bis Rosenheim und das Salzburger Grenzgebiet in enger Zusammenarbeit mit der Salzburger Höhlenrettung ab.

Live-Vorführung mit Flug-Roboter und Lawinenhund
Alexander Beaury und sein Stellvertreter Christian Schmitz demonstrierten am Predigtstuhl den Einsatz von Drohnen, wie sie die Bergwacht bereits seit einigen Jahren in einem Pilotprojekt bei der Vermisstensuche im Gebirge verwendet; mittlerweile sogar mit Wärmebild-Funktion, um beispielsweise verletzte Bergsteiger auch nachts, unter Latschen oder im Wald schneller finden zu können. Beaury zeichnet für den Fachbereich Lokalisation-Kommunikation-Lagedarstellung-Dokumentation (LKLD) verantwortlich. Im Technikbus, einer geländetauglichen Einsatzzentrale sind vier Büro Arbeitsplätze mit entsprechender EDV und moderner Funktechnik vorhanden; es besteht die Möglichkeit zur Handy-Ortung, Satellitenanbindung, Live-GPS-Tracking von Einsatzkräften im Gelände – mit einem leistungsfähigen Teleskop können die Suchmannschaften vom Fahrzeug aus unterstützt werden. Die Drohne verfügt über eine hochauflösende Digitalkamera, eine hochauflösende Wärmebildkamera – beides mit Live-Übertragung in die Einsatzzentrale.

Die effektivste und den menschlichen Suchmannschaften und technischen Errungenschaften noch immer weit überlegene Möglichkeit, um Vermisste oder Verschüttete rasch aufzuspüren, ist die Hundenase: Staffelleiter Stefan Strecker und Lawinenhundeführer Jörg Riechelmann demonstrierten mit dem Schäferhund-Rüden Enzo, wie treffsicher der Vierbeiner innerhalb kürzester Zeit einen vermissten Tourengeher im winterlichen Gelände orten kann. Aktuell besteht die Staffel aus 13 ausgebildeten Suchhundeteams und drei Hunden, die aktuell die rund dreijährige Ausbildung absolvieren. Alle Hunde werden jährlich bei Prüfungen rezertifiziert und absolvieren mindestens einen einwöchigen Sommer- und einen einwöchigen Winterkurs, damit sie zur Suche nach Lawinenverschütteten und zur Flächensuche im Sommer erfolgreich eingesetzt werden können.

3,5 Prozent Tau-Einsätze: „Christoph 14“ zukünftig mit Rettungswinde
2017 musste der Traunsteiner Rettungshubschrauber „Christoph 14“ zu 1.289 Einsätzen fliegen, davon 160 Bergrettungen (12,4 Prozent), 45 davon mit Rettungstau (3,5 Prozent). Regionalleiter-Stellvertreter Thomas Lobensteiner, zugleich Luftrettungsbeauftragter der Bergwacht Bayern, berichtete von den Luftrettungseinsätzen, die die Bergwacht in Zusammenarbeit mit verschiedenen Hubschrauber-Betreibern durchführt und gab einen Ausblick auf die neue Einsatzmaschine mit 90-Meter-Rettungswinde, die in naher Zukunft in Traunstein als „Christoph 14“ zum Einsatz kommen wird. Aktuell wird die von der Bundespolizei betriebene bestehende Zivilschutz-Hubschrauberflotte (16 Stück) um zwei weitere, neue, leistungsstärkere Einsatzmaschinen vom Typ H135 ergänzt und einen der vorhandenen Hubschrauber so hochgerüstet, dass er leistungsstärker und vor allem bei schwierigen Bedingungen an heißen Tagen für Gebirgseinsätze in größeren Höhen besser geeignet ist. Die drei Hubschrauber sind für die Fliegerstaffel der Bundespolizei in Oberschleißheim vorgesehen und sollen an den vom Roten Kreuz betriebenen Stationen „Christoph 14“ in Traunstein und „Christoph 17“ in Kempten zum Einsatz kommen. Die beiden neuen Hubschrauber werden mit Rettungswinde ausgestattet, damit sie flexibler bei Einsätzen im Gebirge verwendbar sind – vorerst aber nur am Tag und nicht wie bei Polizei oder Bundeswehr auch bei Dunkelheit. Lobensteiner: „Damit geht eine Epoche zu Ende: Bisher wurden im alpinen oder unwegsamen Gelände die Einsätze mit dem Rettungstau durchgeführt. Dabei wird das Tau zentral unter dem Hubschrauber aufgehängt; der Notarzt und der Bergretter hängen am unteren Ende des Taus.“ Dabei mussten die heimischen Bergwachten immer wieder Hubschrauber der Polizei, der Bundeswehr und von anderen Luftrettungsstationen anfordern, wenn geländebedingt beispielsweise durch überhängende Felswände die Einsatzstelle mit dem Tau nicht erreicht werden konnte und eine Winde benötigt wurde. Da die Bundeswehr ihren SAR-Standort in Penzing bei Landsberg Ende 2016 endgültig aufgelöst und die Hubschrauber nach Baden-Württemberg verlegt hatte, endete für die Bergwacht eine jahrzehntelange, zuverlässige Partnerschaft, denn die SAR-Hubschrauber mit ihrer Rettungswinde waren oft auch bei schwierigen Gebirgseinsätzen in der Region unterwegs – auch bei Dunkelheit, denn die Besatzungen sind für den Nachtflug ausgerüstet und geschult.

Insgesamt stehen dann bundesweit 15 Zivilschutzhubschrauber vom Typ EC135T2i und drei leistungsstärkere H135 für die insgesamt zwölf Rettungshubschrauber-Standorte zur Verfügung, die fliegerisch von der Bundespolizei betreut werden. Der Rettungshubschrauber in Traunstein ist ein erfolgreiches Gemeinschaftsprojekt: Das Luftrettungszentrum wird vom BRK-Landesverband betrieben; den Hubschrauber vom Typ EC135T2i stellt das Bundesinnenministerium über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zur Verfügung. Beamte der Bundespolizei-Fliegergruppe kommen als Piloten zum Einsatz. Die Notfallsanitäter werden vom BRK-Landesverband, die Notärzte vom Klinikum Traunstein gestellt. Die Aufgaben von „Christoph 14“ und seiner Besatzung erstrecken sich von Rettungsdienst, Bergrettung, Eis- und Wasserrettung über Unterstützung im Zivil- und Katastrophenschutz bis hin zur Personensuche nach Lawinenabgängen.

15.000 Taueinsätze
Seit 1997 wurden nahezu 15.000 Einsätze mit dem Rettungstau durchgeführt.  80 Prozent davon bei den Bergwacht-Bereitschaften Berchtesgaden, Ramsau, Marktschellenberg und Bad Reichenhall. Die fest am Hubschrauber montierte Winde hat mehrere Vorteile: Die Rettung läuft viel schneller ab, da nicht erst bei einer Zwischenlandung ein Tau montiert werden muss und der Hubschrauber die Einsatzstelle direkt anfliegen kann. Der Windeneinsatz ist auch für die Retter wesentlich sicherer, da er in der Regel schneller abläuft und sie weniger lang im Gefahrenbereich (Steinschlag, Lawinen) sind. Wenn der Funk ausfällt, kann auch über Handzeichen mit dem Operator auf der Kufe kommuniziert werden, der direkt zur Einsatzstelle hinabblickt und auch das Gelände gut einschätzen kann. Die Besatzung im Hubschrauber ist weniger auf das Feedback und die Gelände-Einschätzung des Retters am Haken angewiesen, der beim Tau-Verfahren wesentlich weiter weg ist, eventuell zu schnell einzählt und dadurch unsanft, in nicht geeignetem Gelände abgesetzt wird oder sogar gegen ein Hindernis prallt und sich verletzt. Der Patient wird per Winde direkt in die Kabine gezogen, kann dort direkt vom Notarzt versorgt werden und muss nicht als Außenlast weit unter dem Hubschrauber zu einem Zwischenlandeplatz geflogen werden. Insgesamt wird die Arbeit einfacher, da es zukünftig nur noch ein standardisiertes Luftrettungsverfahren bei der Bergwacht Bayern geben wird und die ehrenamtlichen Einsatzkräfte sich nicht mehr abhängig vom Betreiber der Maschine umstellen müssen.

Damit im Einsatzfall alles klappt, werden bereits jetzt die Notfallsanitäter des Roten Kreuzes zu Winden-Operatoren fortgebildet; 50 Windenaufzüge bis zum ersten scharfen Einsatz sind dafür vorgeschrieben. Der Operator bedient die Winde und spricht den Piloten bezüglich des Einsatzorts über Funk ein. „Unsere Bergwacht-Luftretter sind bereits bestens auf das Windenverfahren vorbereitet und können nach Stationierung der neuen Maschine sofort eingesetzt werden“, berichtet Lobensteiner. Die neuen Hubschrauber stehen voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2018 für Traunstein und Kempten zur Verfügung.  Das Hubschraubermuster bleibt an sich das gleiche, es wird weiterhin ein Airbus H135 sein, allerdings mit gesteigerter Leistung vor allem bei höheren Lufttemperaturen und in großer Höhe. Dies macht vor allem Rettungsmaßnahmen im Hochgebirge, beispielsweisen am Watzmann sicherer, wo die bisherigen Maschinen im Sommer bei warmer Luft immer wieder an ihre Grenzen stoßen; insgesamt sind die neuen Maschinen auch leichter. Dies wird vor allem durch eine geänderte Luftführung ins Getriebe und durch zehn Zentimeter längere Rottorblätter erreicht. Die Bergwacht-Region Chiemgau hält zur Unterstützung der Luftrettungsmaßnahmen im Gebirge zwei Notbetankungsanhänger bereit, um Tankvorgänge in unmittelbarer Nähe des Einsatzortes leisten zu können. Dies spart sehr viel Zeit und hilft im Ernstfall Leben zu retten. Die Kerosinanhänger werden ehrenamtlich von den Bergwachten in Traunstein, Berchtesgaden und Bad Reichenhall betreut.