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Rotes Kreuz reduziert mit in der Praxis von den Mitarbeitern gut umsetzbaren Vorkehrungen die Risiken durch so genannte Superspreader

BERCHTESGADENER LAND (ml) –  Der ambulante Pflegedienst des Roten Kreuzes im Berchtesgadener Land versorgt zu normalen Zeiten im Schnitt pro Tag mit 30 gleichzeitigen Touren rund 350 Menschen daheim und legt dabei pro Jahr mit 125.000 Hausbesuchen etwa eine halbe Million Kilometer zurück. Rund ein Siebtel der Patienten wurde im April durch eigene Angehörige versorgt, die wegen der COVID19-Krise nicht zur Arbeit konnten und deshalb die Versorgung vorübergehend selbst übernahmen; der Großteil ist aber auf die oft elementare Hilfe der Rotkreuzler angewiesen, um gesund zu bleiben und den Alltag in den eigenen vier Wänden zu meistern. Die durch die Krise erschwerten Arbeitsbedingungen haben die Pflegekräfte bisher gut gemeistert, was vor allem an den entsprechenden Vorkehrungen liegt, die Pflegedienstleiterin Evi Ksoll frühzeitig in Zusammenarbeit mit dem Führungsstab des BRK-Kreisverbands getroffen hat.

„Wir sind stolz auf unsere Pflegerinnen und Pfleger, die trotz der zusätzlichen körperlichen und psychischen Belastungen sehr motiviert, überzeugt und zuverlässig ihre Arbeit machen, weil sie den Menschen helfen wollen!“, lobt BRK-Kreisgeschäftsführer Tobias Kurz. Ambulante Pflegedienste sind nach Einschätzung von Epidemiologen allgemein gefährdet, leicht zu so genannten Superspreadern zu werden, da sie in relativ kurzer Zeit mit häufigen Ortswechseln viele potenzielle Risiko-Patienten treffen und bedingt durch die Arbeit am Menschen auch meistens keinen Abstand einhalten können; sie laufen damit Gefahr, das SARS-CoV-2 Virus sehr rasch über weite Strecken zu transportieren und zu verbreiten. Das heimische Rote Kreuz hat deshalb bereits zu Beginn der Krise konkrete Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die sich dann in der Praxis bewährt haben: Es fand seit Mitte März in den Dienststellen durch entsprechende Zugangsbeschränkungen so gut wie keine Durchmischung des Personals unterschiedlicher Abteilungen wie Pflege, Rettungsdienst, Verwaltung und Fahrdienst mehr statt, Informationsaustausch und Team-Besprechungen wurden auf Telefon und E-Mail umgestellt und die Weitergabe von Dokumenten und Ausrüstungsgegenständen wurde ohne persönlichen Kontakt über Fächer organisiert.

Evi Ksoll stattete ihre Mitarbeiter mit in den Rotkreuz-Sozialstationen desinfizierend waschbaren Mehrweg-Atemmasken aus, die sie auf ihren Touren trotz körperlicher Anstrengung wie bei Körperpflege, Transfer und Lagerung auch über mehrere Stunden hinweg durchgehend tragen können, ohne zu große Probleme mit der Atmung zu bekommen. „Wir setzen auch den Patienten zu Hause bei der Pflege wann immer es möglich ist einen Mundschutz auf, um das Ansteckungsrisiko so weit wie nur möglich zu reduzieren; beim Zähneputzen oder der Tabletten-Einnahme geht das aber natürlich nicht“, erklärt Ksoll, die darüber hinaus vor allem auf Abstand und kurze Kontakt-Zeiten setzt. Die Mitarbeiter müssen alle pflegerischen Maßnahmen ohnehin über  eine App am Smartphone protokollieren – dadurch ist genau nachvollziehbar, wie lange jemand mit einer anderen Person zusammen war – diese Zeiten und auch die Übergabe-Zeiten in der Sozialstation kann das BRK immer detailliert auswerten und damit bei einem COVID19-Fall das konkrete Risiko für alle Kontakte recht gut einschätzen. Die Mitarbeiter sind darüber hinaus angewiesen, täglich bei allen Patienten und vor dem Dienst bei sich selbst Fieber zu messen und bei Krankheitsanzeichen konsequent zu Hause zu bleiben.

Krankheitsbedingte Personalausfälle haben sich während der vergangenen Wochen in allen Abteilungen immer nur im unteren einstelligen Bereich bewegt. Eine Pflegekraft wurde positiv auf COVID-19 getestet. Da während der Arbeit von allen Mitarbeitern konsequent Mundschutz getragen worden war und die Kontaktzeiten immer nachvollziehbar kurz unter 15 Minuten lagen, bestand weder für Kollegen noch für Patienten ein relevantes Ansteckungsrisiko. Eine große Erleichterung für die Pflegekräfte war, dass die sofort benachrichtigten Patienten und Angehörigen sehr umsichtig auf die transparent kommunizierte Erkrankung ihrer Pflegekraft reagierten und Verständnis zeigten. Der Pflegedienst hat auch ohne Corona seit Jahren viel Erfahrung mit Schutzmaßnahmen bei Patienten mit schwer zu behandelnden Infektionen wie dem mittlerweile recht häufig verbreiteten Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), bei dem ebenfalls Handschuhe, Maske, Kittel und Brille bei der Pflege unverzichtbar sind, wenn der Patient den Keim beispielsweise über die Atmung ausscheidet.

Damit die Kontakt-Zeiten so kurz wie möglich bleiben, versucht das Rote Kreuz, die pflegerischen Maßnahmen auf das Wesentliche zu reduzieren: Es wird alles sofort gemacht, von dem die Gesundheit der Menschen abhängt – nicht zeitkritische Leistungen werden verschoben und später durchgeführt. Auf der Strecke bleiben derzeit allein schon wegen Abstand und Maske der soziale Kontakt und die persönliche Ansprache, die fürs Wohlbefinden der Senioren auch wichtig wären.

Die Tagespflege-Einrichtung des Roten Kreuzes in Freilassing ist seit der behördlichen Anordnung geschlossen; in der letzten Woche hatte das Rote Kreuz noch einen Not-Betrieb für Angehörige organisiert, die in systemrelevanten Berufen arbeiten und dabei auf besondere Sicherheits- und Hygiene-Maßnahmen geachtet: Der Betreute Fahrdienst holte mit den großen Bussen nie mehr als zwei Fahrgäste gleichzeitig ab – in der Einrichtung und im Bus wurde konsequent auf den Abstand geachtet. Derzeit unterstützen die Mitarbeiter bei Bedarf zu Hause, wenn Angehörige sich nicht den ganzen Tag über um die älteren Menschen kümmern können.

Bundes-, Landes-, Bezirks- und Kreisverbände des Roten Kreuzes und auch die Nachbarn des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) sind seit Mitte März in rund um die Uhr besetzten Krisenstäben miteinander vernetzt und tauschen sich inhaltlich und bei allen Maßnahmen aus. „Ich war noch nie so froh wie derzeit, zu so einem großen Verband zu gehören, der in dieser Krise eine hervorragende Arbeit macht“, lobt Kreisgeschäftsführer Tobias Kurz, der sowohl bei der Beurteilung zur Lage-Entwicklung wie auch bei ganz konkreten Problemen in den verschiedenen Abteilungen vom reichen Erfahrungsschatz seiner Kollegen aus Nah und Fern profitiert. Während der überregional zum Teil sehr kritischen Versorgungsengpässe mit Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung wie Masken, Handschuhe und Kittel, aber auch jetzt noch kümmert sich das BRK über seinen zentralen Einkauf und mit eigenen Versorgungsfahrten, dass die knappen Güter bedarfsgerecht und zeitnah in ganz Bayern verteilt werden. „Dadurch hatten wir trotz drohender Engpässe immer genug Schutz-Ausrüstung, um die Versorgung der heimischen Bevölkerung in Pflege und Rettungsdienst sicherstellen zu können und auch unsere eigenen Kolleginnen und Kollegen zu schützen“, freut sich Kurz, der auch die rasche Kommunikation und gute fachliche Beratung durch die Gesundheitsämter im Berchtesgadener Land und im Landkreis Traunstein lobt.

Die Geschäftsstelle des Roten Kreuzes ist geöffnet, wobei Besucher gebeten werden, ihre Anliegen besser nicht persönlich, sondern telefonisch oder schriftlich zu übermitteln; wenn das nicht möglich ist, sollen sie einzeln einzutreten, Abstand halten und Mundschutz tragen. Wer Hilfe braucht, kann sich von Montag bis Donnerstag zwischen 8 und 17 Uhr und am Freitag von 8 bis 13 Uhr telefonisch über +49 (0) 8651 9590-0 melden und neben ambulanter Pflege auch die weiteren ergänzenden Dienste wie Essen auf Rädern, Hausnotruf und Fahrdienst anfordern. Pflege-Beratungen finden aktuell zu Hause bei den Patienten und nicht in der Sozialstation statt – damit kommt es zu keiner Gruppen-Bildung, keinem vermeidbaren Ansteckungsrisiko, und die Mitarbeiter können gleich vor Ort die räumlichen Voraussetzungen für die Pflege überprüfen.

Heitere Bilder aus Zeiten kurz vor der Krise: Die Pflegekräfte sind trotz der zusätzlichen körperlichen und psychischen Belastungen durch Corona ungebrochen hoch motiviert und wollen ihren Patienten aus Überzeugung helfen; sie sind aber bedrückt, dass sie die Sehnsucht nach Nähe der oft einsamen Senioren zu Hause nicht wie sonst adäquat stillen können. Auch den Rotkreuzlern fehlt derzeit der gewohnte intensive Kontakt zu den älteren Menschen und zu den Kollegen, da wegen der Ansteckungsgefahr Kontaktzeiten auf ein absolut notwendiges Minimum reduziert werden mussten und Team-Besprechungen nur noch telefonisch möglich sind. Die Pflege lebt eigentlich von persönlichen Gesprächen, regem Austausch und Nähe mit Patienten und im Kollegen-Kreis.