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Verfasser: Alexander Schwarz, Markus Leitner, aktualisiert am 30.9.06 um 05:02 Uhr

Freiwillige Retter trainieren unter extremen Bedingungen für den Ernstfall

MARKTSCHELLENBERG (as/ml) – Als Training für schwierige und gefährliche Einsätze in Schluchten und Klammen führte die Canyon-Rettungsgruppe (CRG) der BRK-Bergwacht-Region Chiemgau vor wenigen Tagen eine Einsatzübung im Rothmannbach bei Marktschellenberg durch. Die CRG besteht seit dem Jahr 2000 und setzt sich aus ehrenamtlichen und wassertauglichen Einsatzkräften der Bergwacht und der Wasserwacht zusammen, die Fachwissen aus der Berg- und Wasserrettung mitbringen und für die besonderen Anforderungen bei Notfällen in Gebirgsbächen speziell geschult wurden. „Die Abläufe einer Rettungsaktion müssen regelmäßig trainiert werden, um auch die Sicherheit der Einsatzkräfte zu gewährleisten. Jeder Handgriff und jeder Schritt muss passen, damit die Helfer in der Schlucht kontrolliert unterwegs sind, nicht ausrutschen oder gar von den Wassermassen mitgerissen werden“, berichtet der Leiter der CRG, Hannes Jahrstorfer, zugleich staatlich geprüfter Berg- und Skiführer mit Zusatzqualifikation für Canyoning.

Die neuen Trendsportarten haben auch vor der Bergwacht-Region Chiemgau als Freizeit- und Erholungsraum nicht Halt gemacht. Neben dem Rafting (Schlauchbootfahren) auf den Wildwasserabschnitten der aus dem Salzburger Pinzgau kommenden Saalach werden auch Schluchten und Klammen begangen, wobei die ursprünglich aus Frankreich und Spanien stammende Extremsportart unter dem Begriff „Canyoning“ bekannt wurde. Im gesamten Alpenraum gibt es ungefähr 300 Schluchten aller Schwierigkeitsgrade, von denen zehn Prozent regelmäßig von Gruppen begangen werden. Beim Canyoning bewegt sich der so genannte Canyonist abwärts kletternd, zum Teil über Seilstrecken, mit bis zu 15 Meter tiefen Sprüngen, schwimmend, zu Fuß watend oder flach rutschend durch das Fließgewässer, wobei vor allem beim Rutschen und Springen Hindernisse im Wasser schnell zu Verletzungen führen können. Gerade beim Springen ist es unabdingbar, dass die jeweiligen Gumpen und Becken zuvor erkundet und ausgetaucht werden, um Verletzungen durch unter Wasser liegendes Holz oder Felsbrocken, die eventuell bei einem Unwetter eingespült wurden, zu vermeiden.

Das Übungsszenario gab vor, dass sich ein Canyonist beim Springen am Knie verletzt hat und nicht mehr weitergehen kann. Im rund acht Grad kalten Wasser drohte der Mann zudem auszukühlen. Gegen 16.15 Uhr sammelte sich die CRG am Bergwacht-Depot in Marktschellenberg und rückte umgehend zur Einstiegsstelle in den Rothmannbach aus. Da die genaue Unglücksstelle nicht bekannt war, musste der Bach komplett abgesucht und durchquert werden. Der Canyoning-Sport birgt aufgrund der reißenden Strömung und rutschiger Felsen mehr Gefahren als andere Sportarten im schwierigen Gelände. Unfälle lassen sich auf Unerfahrenheit, Leichtsinnigkeit und Selbstüberschätzung zurückführen. Das Hautproblem bei der Rettung von Verunfallten aus wasserführenden Schluchten liegt im Zusammenspiel von Verletzung, Kälte, Nässe, eingeschränkter Funk-Kommunikation und der erschwerten Erreichbarkeit der Einsatzstelle, was neben der ständigen Fortbildung und Übung die Vorhaltung von speziellem Rettungsgerät und persönlichem Equipment der Helfer notwendig macht.

Bei der Übung im Rothmannbach wurde vorab eine so genannte Schnelle Spitzengruppe mit einem Rettungsassistenten in die Schlucht geschickt. Die Retter mussten Abseilstellen mit Seilstrecken neu versichern, ein Seilgeländer unter Einsatz einer Bohrmaschine verankern und den verletzten Sportler rettungsdienstlich erstversorgen. Zwischenzeitlich baute die nachrückende Rettungsgruppe eine schwimmfähige Bergetrage mit Auftriebskörpern zusammen und brachte weitere Rettungsausrüstung zur Unfallstelle. Nachdem der Verletzte medizinisch versorgt und mit einer Wärmepackung gegen das weitere Auskühlen gesichert war, bereitete die Spitzengruppe den Abtransport vor, wobei zum Teil Anker für eine Seilbahn und Abseilstellen gesetzt werden mussten. Hauptziel war es, den Verletzten möglichst schnell aus der Schlucht zu bringen, wobei der Begriff „schnell“ bei Canyon-Einsätzen relativ ist. Trotz der Transportpriorität des Patienten steht die Sicherheit der Retter und des Verletzten an oberster Stelle. Da besonders vorsichtig und vorausschauend gearbeitet wurde, dauerte die Übung bis in die Abendstunden, wobei die Männer im schwierigen Gelände auch mit der Dunkelheit zu kämpfen hatten, was bei ähnlichen Realeinsätzen durchaus möglich ist. Um 21Uhr erreichten alle Retter unversehrt ihr Ziel – der Patientenmime konnte sicher aus der Schlucht transportiert werden.

Im Gegensatz zu Klammen findet man in Schluchten eine flach auslaufende begehbare Uferseite und nicht an beiden Seiten senkrecht aufsteigende oder überhängende Felswände.
Das Schwimmen im Wildwasser stellt Retter und Sportler vor besondere Anforderungen, da eine Verdoppelung der Fließgeschwindigkeit eine Vervierfachung der Wasserkraft bedeutet, was oftmals unterschätzt wird. Beim aktiven Schwimmen wird das Gewässer mit Leinensicherung im 45-Grad-Winkel durchquert, um nicht zu stark abgedriftet zu werden.

Die beste Übersicht ergibt sich beim passiven Schwimmen, wobei sich der Canyoningretter auf dem Rücken mit den Füßen voraus in Strömungsrichtung treiben lässt und so durch seinen geringen Tiefgang und die Möglichkeit, sich mit den Füßen abzustoßen, einer erhöhten Verletzungsgefahr durch Hindernisse ausweicht. Im Wasser liegende Baumstämme müssen aktiv angeschwommen und überklettert werden, da sonst die Gefahr besteht, dass der Retter durch die Strömung unter den Stamm gezogen wird und sich an den Ästen verheddert. Eine große psychische Belastung ergibt sich durch so genannte Walzen, bei denen der Schwimmer durch die Strömung versenkt und im Schussstrahl wieder ausgespuckt wird. Ruhe bewahren kann man erst nach viel Übung und Training. Unterschätzt wird oft auch die Tiefe von Gumpen beim Springen, denn innerhalb kürzester Zeit kann sich der Wasserstand in einer Schlucht oder Klamm ändern, so dass immer unterschiedliche Voraussetzungen gegeben sind.

Im Mai 2006 trainierten die Einsatzkräfte bereits in wärmeren Schluchten und Klammen am Gardasee, um zum Saisonbeginn die Standardtechniken wieder aufzufrischen, wobei die zum Teil äußerst schwierigen Canyons „Torrente Vione“, „Torrente Baes“ und „Torrente Palvico“ durchquert wurden. Sehr lange Begehungszeiten und Abseilstrecken bis zu 55 Meter forderten die Fähigkeiten der ehrenamtlichen Retter.