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Verfasser: Markus Leitner, aktualisiert am 19.1.08 um 18:56 Uhr

Eindrücke vom 13. Bergwacht-Lawinenhundekurs auf der Reiter Alpe

BERCHTESGADENER LAND (ml) – Es ist dunkel und kalt und ich kann mich nicht bewegen; der betonharte Schnee umhüllt meinen Körper und lässt mir nur eine winzige Atemhöhle. Im Loch hört man alles – die Rotorgeräusche der beiden Hubschrauber, jeden Schritt der Helfer und das Schnüffeln der Hunde, zwei Meter über mir. Wann werden sie mich finden? Die Zeit wird relativ im weißen Grab. In den diffusen Resten des Tageslichts, die durch den Schnee nach unten dringen, zeichnen sich flackernde Schatten ab, als der Lawinenhund vorbeihuscht. Sie sind ganz in der Nähe; gleich wittert er mich.

Gefangen in der Bewegungslosigkeit des Lawinenfelds läuft ein Kopfkino ab, denn selbst die leisesten Geräusche dringen zu mir herab und präsentieren sich als bizarres Hörspiel. Ich bin verschüttet, aber verfolge genau, wie sie nach mir suchen. „So feinsinnig sieht wohl nur ein Blinder“, denke ich mir und will meinen Rücken etwas drehen, der vom langen Liegen bereits schmerzt; keine Chance, denn die Höhle ist zu eng und der Schnee zu hart. Das Schnüffelgeräusch kommt näher; ein Scharren über mir und es knirscht, als der Vierbeiner zu graben anfängt. „Einsatzleitung von Hundeführer – mein Hund verweist“, schallt es aus den Funkgeräten der Suchmannschaft. Nach wenigen Minuten erscheint eine scharrende Pfote vor meinem Gesicht, dann folgt die Schnauze und schließlich blicke ich in die Augen meines vierbeinigen Retters, der mich im riesigen Lawinenfeld innerhalb weniger Minuten zielsicher gefunden hat. „Gut gemacht, Janosch!“ Zur Belohnung bekommt der Labradorrüde sein Bringsel. Nur mit viel Mühe gelingt es den nachrückenden Schauflern, mich aus meiner misslichen Lage zu befreien. Klar, alles nur eine Übung, doch ohne fremde Hilfe wäre ich aus diesem Loch nicht mehr herausgekommen. Das Übungsgelände befindet sich auf dem rund 1.600 Meter hoch gelegenen Plateau der Reiter Alpe im Berchtesgadener Land. Es ist Mitte Januar und am Berg liegt über ein Meter Schnee. Eine Woche lang trainiert die Lawinen- und Suchhundestaffel der Bergwacht-Region Chiemgau hier die Suche im Lawinenfeld.

Im gesamten Alpenraum sterben jährlich rund 120 Menschen nach Lawinenverschüttung. Die Tendenz ist aufgrund immer größerer Risikobereitschaft steigend. In wie weit ein Unfall selbst verschuldet ist, spielt im Ernstfall keine Rolle: Die Einsatzkräfte der Bergwacht im BRK sind neutral und helfen jedem, der in Not geraten ist. Trotz guter Wintersportbedingungen mussten die Retter in der aktuellen Saison bisher zu keinem Lawinenunfall in den Berchtesgadener und Chiemgauer Alpen ausrücken; die Salzburger Kollegen hatten dagegen schon mehrere Einsätze.

Ein Lawinenhund ersetzt bei der Suche nach Verschütteten und Vermissten 20 Bergwacht-Helfer und hat rund 50 Mal so viele Riechzellen wie ein Mensch: Nach wie vor ist der Einsatz von Hunden die effektivste Methode, um Lawinenopfer schnell und effektiv aufzuspüren. Gut riechen können Hunde von Geburt an. Was sie aber suchen sollen, müssen sie Schritt für Schritt lernen. Bei der rund dreijährigen Ausbildung zum Suchhund wird vor allem der Spieltrieb der Tiere genutzt. „Wir trainieren nicht den angeborenen Geruchsinn der Hunde. Wir bringen ihnen nur bei, dass sie die gestellten Aufgaben wesentlich einfacher lösen, wenn sie ihre Nase einsetzen“, erklärt Staffelleiter Walter Lang, dessen Schäferhund Speedy mit elf Jahren schon fast zu den Rentnern gehört. Die Tiere arbeiten sehr schnell und effektiv, lassen Techniken wie Radar- oder Lawinen-Verschütteten-Suchgeräte (LVS) hinter sich. Aktuell gehören 15 Suchhundeteams zur Staffel, die ständig durch drei in der Lawinenhundearbeit erfahrene Helfer unterstützt wird. Was auf den ersten Blick komisch wirkt, ist durchaus sinnvoll: Am Berg wird die UV-Strahlung fast vollständig durch den Schnee reflektiert. Um auch die Hunde vor der schmerzhaften Schneeblindheit zu schützen, wurde jedes Tier mit einer speziell angepassten UV-Schutzbrille ausgestattet.

Mit blauem Himmel und einer optimalen Fernsicht auf die schneeüberzogenen Berchtesgadener Alpen beginnt am Dienstag der Flugtag. Um den Hunden ihre Angst vor Hubschraubern zu nehmen, finden Gewöhnungsflüge in der nahen Umgebung statt. Zuvor wird das Einsteigen in die Maschine bei stehendem und laufendem Rotor geübt. Die beiden lauten Hubschrauber der Bundespolizei setzen die Hundeführer mit ihren Tieren per Winde ab, wobei auch die Hunde mit einem speziellen Tragegeschirr gesichert sind. Den am Boden wartenden Bergwachtlern fegt der Abwind den Schnee um die Ohren. Im Einsatzfall sind Hubschrauber oft die einzige Möglichkeit, um die Suchhunde möglichst schnell zum Lawinenfeld zu bringen. Die Tiere müssen sich an den Rotorenlärm und das Gefühl gewöhnen, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Pilot Markus Pabst, der den Eurocopter 155 der Bundespolizei steuert, äußert bei der Vorbesprechung noch Bedenken: „Kann der Wolf auch nicht nach vorne ins Cockpit springen?“ Doch die routinierten Bergwachtler haben ihre Vierbeiner im Griff; die Windenübung verläuft ohne Probleme. Zwei Hunde fliegen zum ersten Mal. Ihre anfängliche Unsicherheit verflüchtigt sich schnell – das Herrchen hängt ja mit am Windenhaken, so viel kann da nicht mehr passieren. Fliegen ist schön!

Der Faktor Zeit spielt bei der Lawinenrettung die größte Rolle: Etwa 20 Prozent der Verschütteten sind bereits beim Stillstand einer Lawine aufgrund ihrer schweren Verletzungen tot. Auch mit vorhandener Atemhöhle ist nach einer halben Stunde etwa die Hälfte aller Lawinenopfer wegen Sauerstoffmangel tot; ohne Atemhöhle versterben 50 Prozent bereits nach 15 bis 20 Minuten. Nach einer dreiviertel Stunde sind statistisch betrachtet 75 Prozent der Verschütteten erstickt. Neben der schnellen Kameradenhilfe mit Verschütteten-Suchgerät, Sonde und Schaufel ist vor allem entscheidend, dass die Suchhundeteams möglichst rasch zum Einsatzort gelangen – bei Flugwetter per Hubschrauber, ansonsten mit dem Motorschlitten, per Seilbahn, mit der Pistenraupe oder wenn es nicht anders geht auch zu Fuß.

Am Mittwochvormittag hat sich der Himmel verfinstert; das Wetter schlägt um. „Da der Leistungsstand unserer Hunde bereits sehr hoch ist, legen wir heute besonderen Wert auf die Fortbildung der Hundeführer. Deshalb spielen wir das komplette Programm durch“, erklärt Staffelleiter Lang. Eine angenommene Mehrfachverschüttung mit ungewöhnlich tief vergrabenen Unfallmimen fordert optimale Teamarbeit und vollen Einsatz von Mensch und Tier. Einsatzleiter Sepp Steiner teilt das Lawinenfeld in Suchabschnitte ein, wobei die beiden Verschütteten rasch von den Hunden geortet werden. Jetzt beginnt die eigentliche Rettung: Schaufeltrupps graben unter Zeitdruck bis zu zwei Meter tief hinab. Bergwachtarzt Ralf Kaukewitsch ist selbst Hundeführer; er steigt zum Patienten hinab, sichert die Atemwege, verabreicht Sauerstoff und beginnt mit der künstlichen Beatmung. „Bei der Rettung ist es wichtig, dass wir den Verschütteten so wenig wie möglich bewegen, damit das kalte Blut aus Armen und Beinen nicht zum Herzen gelangt“, erklärt der Mediziner. Für den Abtransport wird Heli Pfitzer, der den Verschütteten spielt, gegen weiteres Auskühlen geschützt. Lawinenhündin Lilly, die sicher verwiesen hat, sitzt angeleint an einem Baum und beobachtet die wuselnde Rettungstraube. „Normal kommt jetzt der Hubschrauber für den Abtransport“, bemerkt Hundeführer Helmut Lutz und imitiert mit seinen Armen den kreisenden Rotor: „Flop, flop, flop!“ Da aber alles nur eine Übung ist, darf Heli Pfitzer im Anschluss mit der Pistenraupe zurück zum Lenzenkaser fahren; dort wartet die Brotzeit.